Nachbericht zum Lichtenberger Sommer 2025
September, 2025 · By Luca Klemenz
Die Sonne brannte über der ehrwürdigen Trabrennbahn Karlshorst, wo sonst nur Pferde im Takt der Hufe über die Bahn traben, diesmal aber eine Horde Schachspieler um Ehre, Ruhm und Nackensteak kämpfte. Legendär wie immer: die Theke, wo man frisch gezapftes Bier und saftige Nackensteaks bekam – ein Fest für Gaumen und Kehle. Weniger legendär: die Toiletten, die sich eher wie ein Endspiel mit zwei Minusbauern anfühlten – nur schwer zu retten.
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Die Helden und Tragödien am Brett
Nelson – Fortuna im Gepäck, Königsindisch im Repertoire
Nelson erlebte ein Turnier voller verrückter Wendungen – und oft mit Fortuna auf seiner Seite. Ein Turmendspiel mit Minusbauern? Normalerweise ungewinnbar – doch Nelson gewann es. Eine Figur im 5. Zug eingestellt? Kein Problem, am Ende trotzdem noch Remis herausgequetscht.
Besonders in Erinnerung bleibt die epische Partie gegen unseren geschätzten „Festungs-Opa“ Werner Püschel. Der baute eine undurchdringliche Verteidigung, schob seinen König stoisch zwischen f2 und g2 hin und her, und trotz aller Gewinnversuche musste Nelson einsehen: Remis.
Doch Nelson hatte im Turnier auch eine ganz neue Stärke: mit Schwarz gewann er wie am Fließband. Grund dafür seine frisch entdeckte Lieblingswaffe: Königsindisch. Damit bezwang er u. a. die Berliner Schachlegende FM Jürgen Federau und sammelte Punkt um Punkt.
In Runde 8 kam es dann auch zur Neuauflage des Jugendduells gegen CM Felix Reichmann. Damals, im Mai bei der DEM U18, war es Remis ausgegangen. Diesmal verlor Nelson – und damit auch die letzte Chance auf den Hauptpreis. Ganz leer ging er jedoch nicht aus: am Ende gab’s den 1. Jugendpreis und 150 Euro, die nicht weniger gefeiert wurden als ein Turniersieg.
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Jasper – der Mann, der Currywurst verpasste
Jasper erlebte ein Turnier wie eine Achterbahn. Die schwächeren Gegner der ersten Runden wurden souverän aus dem Weg geräumt, doch dann folgten die Rückschläge: das missglückte Eröffnungsexperiment im verzögerten Jänisch in Runde 3 und – noch schmerzhafter – der gleichermaßen katastrophale wie epische gxf7-Patzer in klarer Gewinnstellung gegen einen 2100er in Runde 6. Doch Jasper gab nicht auf. Er kämpfte sich zurück, holte einen kuriosen Glückssieg im Läuferendspiel gegen einen DWZ-losen Ukrainer und legte direkt noch einen weiteren Sieg nach. In Runde 9 dann die Tragödie: aus klarer Gewinnstellung wurde nur ein Remis – und der 1. Ratingpreis rückte außer Reichweite.
Das Sahnehäubchen seiner Karlshorster Geschichte: Jasper spielte mehrere Partien mit einer besonderen Wette im Hinterkopf. Schaffte er es, mit mehr als 1:30 Stunden Restzeit zu beenden, winkte ihm eine Currywurst. Wie zu erwarten: keine einzige Wurst wurde erbeutet. Immerhin zwang ihn das Ganze dazu, schneller zu spielen – was ihm nach eigener Aussage half, nicht ständig in Zeitnot zu geraten. Am Ende blieb es beim Bier – finanziert vom 3. Ratingpreis (100 Euro), den er selbstverständlich sofort wieder in Hopfenkaltschalen investierte.
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Johannes – Überraschungen garantiert
Johannes spielte ein richtig starkes Turnier. Gegen CM Yatskar rang er ein Remis heraus, das noch lange in Erinnerung bleiben wird. Dann die vielleicht kurioseste Szene: ein Gegner gab in völlig ausgeglichener Stellung einfach auf – wohl eingeschüchtert von der berüchtigten Johannes-Aura. Und als wäre das nicht genug, zauberte er in einer weiteren Partie in einem eigentlich verlorenen Läuferendspiel noch ein Remis aufs Brett, obwohl er die Feinheiten mit falschem Läufer und Randbauer gar nicht kannte. Wir rieben uns verwundert die Augen – Johannes schien an diesem Wochenende wirklich immer für eine Überraschung gut.
Dazu zeigte er wiederholt, wie stark er sich vorbereitete – z. B. mit dem mutigen f6-Gegenschlag gegen London, der seine Gegner direkt aus der Theorie warf.
Die letzte Runde wurde dann legendär: noch Chancen auf einen Preis, Gegnerin Pola Seemann spielte wie Speedy Gonzales, Johannes kam in Zeitnot und haute das Figurenopfer …Sxc3 aufs Brett – ein Schlag ins Wasser. Niederlage, aber für uns alle eine köstliche Szene. Unterm Strich dennoch ein fettes Plus: ca. +70 DWZ und damit gleich mehrere KKSler in der DWZ-Liste überholt – darunter gestandene Spieler wie Peter Graf.
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Luca – das urkomische Schicksal
Luca begann schwach, war zwischendurch zwei Runden verhindert, um dann wie Phönix aus der Asche zurückzukommen: nach 7 Runden stand er plötzlich bei 5 aus 5 – eine GM-Norm auf Karlshorster Art.
Dann aber schlug das Schicksal zu, und zwar mit Humor: gepaart gegen Daniel Rose. Urkomisch, weil Rose in Kreuzberg schon gegen Nelson gewonnen hatte und hier in Runde 1 gleich mal gegen Fynn verlor. Ausgerechnet gegen diesen Gegner durfte Luca antreten – und sah, wie sollte es anders sein, kein Land. Alle Elo-Punkte, die er sich vorher mühsam erarbeitet hatte, wurden gnadenlos wieder einkassiert. Karlshorst liebt seine Ironie.
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Philipp – zwischen Vorbereitung und Insektenattacke
Philipp startete mit einer Niederlage gegen 1500 und musste auch in den Folgerunden ein paar Rückschläge einstecken. Doch wie man ihn kennt, war seine Vorbereitung stets erstklassig – und so gelangen ihm auch Highlights wie der souveräne Sieg gegen Utz Lachmann. Am meisten Eindruck hinterließ jedoch das Remis gegen einen 2150er. Diese Partie wurde im lauen Berliner Winter noch lange analysiert, wobei Philipp tapfer einige Mückenstiche in Kauf nahm – Opfergeist der besonderen Art. Nach Runde 7 musste er das Turnier jedoch abbrechen – ein anderer Termin rief.
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Fynn – der Shootingstar
Fynn bestätigte seine Form aus Leverkusen eindrucksvoll. Direkt in der 1. Runde ein Sieg gegen Daniel Rose, also gleich mal ein Ausrufezeichen gesetzt. Danach viele Remis gegen stärkere Gegner – und erneut DWZ-Gewinne satt. Nach Runde 7 musste auch er aussteigen, da ein anderer Termin wichtiger war. Mit +550 DWZ allein in diesem Jahr ist er trotzdem der große Aufsteiger der Saison.
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Nebenquests und Abenteuer
Natürlich bestand der Lichtenberger Sommer nicht nur aus 64 Feldern.
Ein Highlight war der Ausflug nach Angermünde: Kopfsteinpflaster, kleine Cafés, Fachwerkhäuser – eine Kulisse, die so gar nichts mit der hektischen Berliner Turnierluft zu tun hatte. Dort spazierte man durch die Altstadt, ließ die Schachuhren hinter sich und fühlte sich fast wie im Urlaub.
Auch die Hauptstadt selbst wurde erkundet. Der Besuch im Reichstag – mit Blick über ganz Berlin von der gläsernen Kuppel – war ein besonderes Erlebnis. Dazu kamen Spaziergänge entlang des Brandenburger Tors, ein Abstecher zur Museumsinsel und das übliche Staunen über die Berliner Mischung aus Hochkultur, Dönerbuden und hupenden Taxifahrern.
Kurz gesagt: Kultur, Geschichte und Schach – eine Kombination, die perfekt zum Lichtenberger Sommer passte.
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Fazit
Der Lichtenberger Sommer 2025 hatte alles: Glückssiege, Bierinvestitionen, urkomische Paarungen, Zeitnot-Opfer, Toiletten-Katastrophen, einen Ausflug ins Idyllische und eine Currywurst, die nie gegessen wurde. Jeder Spieler schrieb seine eigene Saga – und so bleibt nur festzuhalten:
Karlshorst hat wieder einmal gezeigt, dass Schachturniere mehr sind als Zahlen und Tabellen – sie sind Geschichten, die man noch lange weitererzählt.